5.8.2024 – OLG Schleswig: Haftung von 80 % des Auffahrenden bei unerwartet starker Bremsung des Vorausfahrenden an Ampel

OLG Schleswig vom 19.3.2024, Az. 7 U 82/23

Die Tochter der Klägerin hielt mit dem Klägerfahrzeug als erstes Fahrzeug an der Ampelanlage, welche für den Gradeausverkehr sowie die Rechtsabbieger „rot“ anzeigte. Die Tochter der Klägerin fuhr dann bei Grünlicht für den Geradeausverkehr kurz an und bremste das Klägerfahrzeug nach Überfahren der Haltelinie wieder vollständig ab, wobei die Einzelheiten zur Ampelschaltung zu diesem Zeitpunkt zwischen den Parteien streitig waren. Der Beklagte fuhr mit dem Beklagtenfahrzeug auf das Klägerfahrzeug auf, wobei auch der genaue Hergang des Auffahrunfalls zwischen den Parteien streitig war.

Die Klägerin machte einen entstandenen Schaden von Reparaturkosten in Höhe von 8.819,49 €, Nutzungsausfall von 43,- € für 11 Tage und eine Wertminderung von 400,- € gelten.

Das LG gab der Klage mit einer Quote von 50 zu 50 statt.

Das OLG Schleswig hielt die Berufung der Klägerin teilweise für begründet.

Es entschied, dass der Anscheinsbeweis zu Lasten des von hinten Auffahrenden nicht dadurch erschüttert wird, dass der Vorausfahrende in der Anfahrtsphase bei Grünlicht abgebremst hat. Ein unerwartetes Abbremsen ist nicht mit einem „starkes Abbremsen“ im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO gleichzusetzen. Wer gerade erst angefahren ist, kann schon gar keine Geschwindigkeit aufgenommen haben, in der ein starkes Abbremsen überhaupt möglich ist.

Um den Anscheinsbeweis für ein Auffahrverschulden zu erschüttern, genügt es nicht, wenn der Voranfahrende in der Anfahrtsphase, wie die Beklagten hier behaupten, grundlos abgebremst hat. Zwar darf im Hinblick auf den Sicherheitsabstand während des Anfahrens bei Grünlicht ausnahmsweise so angefahren werden, wie die Fahrzeuge gestanden haben, weil anderenfalls die Grünphase nicht ausgenutzt und der Verkehr behindert würde, den geringen Anforderungen an das Abstandsgebot ist aber stets durch erhöhte Aufmerksamkeit und erhöhte Bremsbereitschaft Rechnung zu tragen

Allerdings muss sich die Klägerin die Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs anrechnen lassen. Die Tochter der Klägerin hat nach Überfahren der Haltelinie entweder gebremst, weil sie auf ein zuvor übersehenes Rotlicht hingewiesen wurde oder, weil sie auf den Beifahrer hörte, der sie fälschlicherweise vor Rotlicht warnte. Weder im einen noch im anderen Fall, läge eine Situation vor, die es sachgerecht erscheinen lassen würde, die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs zurücktreten zu lassen.

Das Gericht geht von einer Verschuldensquote von 80 % des auffahrenden Beklagten und von 20 % der Klägerin aus.